In aller Munde derzeit: die gute, alte Achtsamkeit. Wenn man es bis auf die Seiten des Handelsblatts geschafft hat, muss ja etwas dran sein am Phänomen. Um was also geht es?

Grob gesprochen ist es die (Wieder)Entdeckung uralter Mediationspraxis und spiritueller Einflüsse. Durch die Industrialisierung und das durch sie geprägte Menschenbild (funktional, unemotional, effektiv) gut verschüttet, kommt in den letzten Jahren das alte Wissen wieder ins Bewusstsein.

Wie so oft, weil wir mit unserem Latein am Ende sind. Die alten Mechanismen funktionieren nicht mehr, Menschen stellen wieder Sinnfragen und spüren, dass sie mehr im Leben brauchen, als „Held der Arbeit“ zu sein.

Nun also gehen wir wieder auf die Suche nach Sinn und Wirksamkeit im Arbeitseben, entdecken unseren Gestaltungswillen neu und stellen fest: es ist ganz schön mühsam, wieder zu sich zu finden. Die eigene Ent-wick-lung aus den alten Mustern braucht viel Aufmerksamkeit, Geduld und Mitgefühl. Allzu oft gibt uns der innere Kritiker die Peitsche und wir haben Gedanken wie: „du bist nicht schnell genug, du bist nicht perfekt genug, du bist nicht belastbar genug“ …erst einmal ist kein Ende in Sicht. Diese Gedanken sind wesentliche Auslöser für Stress und Sie spüren vielleicht sogar Druck, weil es unmöglich ist allen Anforderungen gerecht zu werden. Und nur dann wäre man ja – nach gängiger Annahme-gesellschaftlich vorzeigbar.

Da hilft tatsächlich die Achtsamkeit mit sich selbst: woher kommen diese Gedanken? Sie sind ja nicht so auf die Welt gekommen. Bei wem haben Sie gelernt, dass Sie und Ihr Tun/Denken nicht ausreichend sind? Und waren diese Mitmenschen so erfolgreich in ihrem Sie-klein-machen, dass Sie diese Gedanken inzwischen für Ihre eigene Wahrheit halten?

Dann lohnt es sich zu erforschen, warum z.B. Kritik vom Vorgesetzten oder ein nicht geschafftes Arbeitspensum Sie dennoch so trifft, obwohl sie faktisch getan haben was Sie konnten – mehr ist bis hierhin doch nicht möglich, oder?

Woher kennen Sie dieses Gefühl des Nicht-ausreichens bereits?

Passt die Wucht des Gefühls wirklich in die aktuelle Situation, oder ist es vielleicht heftiger? Kennen Sie Ihre Glaubenssätze? Der Anspruch in der Achtsamkeit ist nicht, früheren Wegbegleitern die Schuld für etwas zu geben, sondern über die Reflektion in die Eigenverantwortung in der Gegenwart zu kommen.

Wir kennen das Gefühl des scheinbaren Versagens und nicht-geschafft-habens und den damit verbundenen Stress bereits aus sehr frühen Situationen unseres Lebens. Haben wir nicht gelernt damit umzugehen oder durften wir das Gefühl in der damals passenden Situation nicht haben, klopft es wieder an, wenn aktuelle Situationen auch nur ein wenig danach „riechen“. Dann schlägt unser System Alarm, weil es uns schützen und nicht wieder in ähnliche Situationen bringen möchte.

Das hilft Ihnen aber im Hier und Jetzt nicht weiter. Was also tun?

Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass unser Köpergedächtnis alle Erlebnisse speichert – auch die ganz frühen. Wir können uns längst nicht mehr erinnern, aber der Körper weiß es noch sehr gut.

In der Regel sind wir Menschen im Umgang mit negativen Gefühlen nicht so gut. Wir versuchen sie wegzudrücken, oder uns abzulenken. Indem wir etwas essen oder trinken, Sport machen, eine Zigarette rauchen oder mit Alkohol in die Entspannung kommen gelingt das temporär oft sehr gut. Dummerweise funktionieren all diese Dinge nur wie eine Verschiebung. Sie lösen nichts auf. Um wirklich aus dem Stress auszusteigen, braucht es etwas Mut, eine andere Variante zu versuchen:

Nehmen Sie sich die Zeit und geben Sie dem Gefühl im Körper Raum. Spüren Sie, wo Sie die Angst, das Versagen, die Wut wahrnehmen und geben Sie dem nach, was sich meldet. Es wird Ihnen eine Spur geben, der Sie folgen können. Vielleicht tauchen alte Bilder auf, vielleicht hören Sie die Stimme, die Sie früher bereits oft kritisiert hat – es gibt hier viele Möglichkeiten. Vertrauen Sie darauf, dass die Impulse, die Sie aus Ihrem Inneren bekommen, stimmen.

Vielleicht passiert auch erst einmal gar nichts, außer, dass Sie das Gefühl bewusst im Körper wahrnehmen und es zum ersten Mal da sein darf. Darin liegt das Geheimnis: nehmen Sie wahr, was ist. Nichts weiter. Ganz neutral und vielleicht neugierig: „ah, ich bin echt wütend“ oder „oh, ich bin so traurig“ oder „ich fühle mich total hilflos“. Nicht wieder drauf hauen nach dem Motto: „ich alte Heulsuse“, „mein Gott, was bin ich für ein Lappen“ – da bewerten Sie wieder. Wenn Sie das bemerken: Stopp! Und nur noch einmal wahrnehmen, was ist.

Üben, gnädig sein mit sich, üben, wahrnehmen was ist und atmen! Freuen Sie sich darüber, dass Sie auf dem Weg in die eigene Annahme sind – was für eine Ent-wick-lung raus aus den alten Mustern!

In dem Sie Mitgefühl für sich und ihr Dasein entwickeln, entwickeln Sie den Weg aus dem Stress. Ihre negative Bewertung  verursacht einen erheblichen Bestandteil des Stresspegels. Die Situation ist im Außen schon unangenehm und Sie werten sich innerlich noch zusätzlich ab. Die Dynamiken ist ähnlich bei der eines Kindes, das schon weint, weil es weiß, dass es etwas nicht richtig gemacht hat: was passiert wenn man es zusätzlich noch anschreit oder streng anspricht, doch  nun endlich mit der Heulerei aufzuhören? Richtig. Es wird nur noch schlimmer. Genau wie Sie hoffentlich dieses Kind trösten würden, seien Sie auch liebevoll mit sich selbst.

Also: macht Sie die reale Situation tatsächlich so fertig, oder sind es die alten Geister, die sich melden? Können Sie den Unterschied erkennen? Wie stark stresst Sie der Arbeitsalltag nun wirklich?

Aber Achtung: Achtsamkeit ist auch kein Allheilmittel – es ist ein wesentlicher Teil des Weges zum eigenen Lebensthema, ja. Wenn Sie sich aber in krank machenden Strukturen bewegen wie z.B. dauerhafte Mehrbelastung, Aufgaben, die Ihrem Können und Wollen nicht (mehr) entsprechen, einem kollegialen Umfeld, das Ihnen nicht gut tut, dann wird es Zeit, über konkrete Veränderungen nachzudenken.

Das kann ein klärendes Gespräch mit dem Vorgesetzten sein oder aber auch der Entschluss, dass das Unternehmen ggfls. nicht mehr zu Ihnen passt. Was vor einigen Jahren für Sie noch stimmig war, kann heute ganz anders aussehen. Seien Sie ehrlich mit sich und schauen Sie hin, was die Stressoren in Ihrem Leben sind. Dann gilt es abzuwägen, ob es sich um ein Lernfeld für Sie handelt, dass Sie reifen lässt, oder ob Sie dringend eine konkrete Veränderung anstoßen sollten.

Raus aus der Bewertungsfalle – Stress lass nach!

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